Donnerstag, 27. Februar 2014

zweiter Rundbrief



Soo ich hab gerade meinen zweiten Rundbrief zuende bekommen und weil das grade so gut passt füge ich den noch in den Blog ein. Vielleicht gefällt er euch ja viel Spaß ;)





Zweiter Rundbrief von Roman Lay                                            Februar 2014                                           

Das Land der Gegensätze

Das zweite Mal melde ich mich jetzt aus Israel. Weihnachten ist vorbei und auch 2013 ist Geschichte. Jetzt ist schon fast ein halbes Jahr rum, seit dem ich in Tel Aviv gelandet bin. Seit dem ersten Rundbrief ist wieder einiges passiert. Da dieser Bericht besonders die Themen Kultur, Politik; Religion sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten Israels zu Deutschland beinhalten soll, werde bevorzugt Erlebnisse schildern, die diese Themen verdeutlichen. Dies werde ich anhand von Orten berichten, an denen ich bereits gewesen bin und die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.
Ich muss ehrlich gesagt zugeben ich hatte ich mich im Vorfeld zwar über das Land, die Kultur und den Konflikt informiert. Die Erfahrungen zeigen allerdings immer, dass in der Realität dann doch alles anders auf einen wirkt, als man zuvor dachte und dass man es sich doch anders vorgestellt hat.
Dadurch das Israel gerade einmal so groß ist wie Hessen hab ich nun nach fast 6 Monaten einen Großteil des Landes gesehen. Es gibt sehr viele interessante Städte sowie unzählige Nationalparks. Von Waldwanderwegen bis Wüstentouren gibt es fast alles, denn die klimatischen Unterschiede sind sehr groß hier. Vom Mittelmeer Klima im Norden über das Steppenklima im mittleren Teil bis zum Wüstenklima im Süden des Landes. Allerdings fühlt sich das Wetter hier im Norden wüstenhaft an. Es hat hier viel zu wenig geregnet, wie die Israelis immer beklagen. Es könnte also auch hier ein noch wärmerer Sommer als ohnehin schon werden.  Die lokalen Unterschiede in kultureller und religiöser Hinsicht sind allerdings noch viel größer und natürlich interessanter. Ich mir direkt angewöhnen mich bei Reisen auch dementsprechend  anzupassen. Um ein Beispiel zu geben ist Jerusalem, vor allem die Altstadt eine ganz andere Welt als Tel Aviv obwohl nur 40 Kilometer zwischen den beiden bedeutendsten Städten Israels liegen.
 In Jerusalem leben viele orthodoxe Juden, Muslime und religiöse Christen (darunter erstaunlich viele deutsche) und die Religion steht im Mittelpunkt. Vor allem in der Altstadt, in der sich wichtige religiöse Pilgerstätten aller drei Weltreligionen befinden (Klagemauer, Al-aqsa Moschee und Grabeskirche) wird das sehr deutlich. Man merkt ebenfalls, dass die Stadt sehr umkämpft ist. Es gibt viele religiöse Menschen, die keine Rücksicht auf eine andere nehmen. Ein gutes Beispiel waren Christen, die im arabischen Teil der Altstadt mit einem großen Kreuz auf dem Rücken an mir vorbei liefen und Lieder sangen. Auch die ultraorthodoxen Juden, die oft anzutreffen sind, sind bei den meisten Israelis nicht sonderlich beliebt. Ultraorthodoxe Juden leben sehr abgeschottet. Sie haben eigene Schulen und Universitäten, an denen aber die Thora im Mittelpunkt steht. Sie arbeiten nicht, sondern studieren die Thora und Jugendliche gehen nicht zur Armee, was eigentlich Pflicht für alle ist. Denn jeder Israeli muss eigentlich nach der Schule für 2-3 Jahre Wehrdienst leisten (Männer 3 Jahre, Frauen 2 Jahre).  In dieser alten Stadt leben also viele sehr religiöse Menschen. Auch die israelische Gesellschaft ist zum Teil sehr religiös. Vertreten durch die ultraorthodoxen Juden.
Tel Aviv hingegen ist bekannt für den westlichen, toleranten Lebensstil. Sie wird auch die toleranteste Stadt im Nahen Osten genannt, was nicht zuletzt mit der großen Schwulenszene und vielen alternativen Ecken zu tun hat. Das Nachtleben in Tel Aviv ist das Beste in Israel. Von Großraumdiskos bis kleine Pubs und Undergroundclubs ist alles vertreten.
In Tel Aviv aber auch in Haifa wird die Amerikanisierung sehr deutlich. Der amerikanische Lebensstil wird von einigen vor allem jungen Israelis angestrebt. Sei es immer mehr Malls zu bauen, McDonald’s Restaurants an Autobahnraststätten mitten in der Wüste zu haben, oder immer über Facebook, Whatsapp etc. erreichbar zu sein bzw. ständig zu schreiben. Tel Aviv wird gerne ‚the big Orange‘ genannt, was auf den ‚big Apple‘ (New York) anspielt und somit als orientalisches New York verstanden werden kann. In der Tat werden in Tel Aviv immer mehr Wolkenkratzer gebaut. Mit einigen schmutzigen Ecken und den Plattenbausiedlungen hat es aber eher was von einem orientalischen Berlin, wie ich finde.

Die drittgrößte Stadt des Landes ist Haifa, welche von mir aus in 20-30 Minuten mit dem Bus zu erreichen ist. Eine sehr schön gelegene Stadt, die durch den Industriehafen aber wenig Zugang zum Meer hat. Bekannt ist Haifa für seine Universität, die ich vor 2 Wochen mit einigen Volontären während eines Seminars besucht habe. Das riesige Gelände des ,Technion‘ (technische Hochschule) bietet Platz für 13 000 Studenten und ist dementsprechend sehr imposant. Wir haben einen sehr interessanten Vortrag eines Professors gehört, der auch die Erfindungen, die im Technion gemacht wurden, beinhaltete. Zwei Nobelpreisträger haben in dieser Einrichtung geforscht. Zudem gibt es einige recht simple Erfindungen, die aber jeder kennt. (z. B. USB-Stick). Haifa steht zusätzlich für die IT-Branche. Es gibt eine außergewöhnlich hohe Zahl von jungen Studenten, die eine Firma gründen und diese später oft verkaufen. Für einen hohen Bildungsgrad spricht auch, dass Israel mit fast 56% Akademikeranteil, an zweiter Stelle weltweit steht. Israels Gesellschaft besteht also zu einem großen Teil aus gebildeten Menschen und einer westlich orientierten Jugend.

Die nächst gelegene, größere Stadt von mir aus gesehen ist aber nicht Haifa, sondern Nazareth. Nazareth, welches man aus der Bibel kennt, ist heute fast zu 100 Prozent arabisch (muslimisch und christlich) besiedelt. Dort lebt die größte Gemeinde arabischer Israelis. Die arabischen Israelis fühlen sich von den Juden oft unfair behandelt, wie an Nazareth gut zu erkennen ist. Die Stadt könnte man denken ist von Touristen (vor allem christlichen nur so Überlaufen). Ist sie aber nicht. Nicht viele Hotels ein paar Gruppen aber nichts im Vergleich zu Jerusalem oder Betlehem. Touristen kommen nur Tagsüber und werden von Bussen wieder abgeholt. Die Stadt profitiert also wenig von den Touristen. Die Bewohner sehen darin eine gezielte Schädigung. Auch das neu gebaute Nazareth Illit (Illit = erhöht, besser) welches oberhalb von Nazareth erbaut wurde wird kritisch betrachtet.




Durch die Zuwanderungswelle russischer Juden in den neunziger Jahren, sollte Nazareth Illit wachsen und Nazareth zahlenmäßig überholen, da man die Stadt als durchaus gefährlich ansah. Geklappt hat es nicht, doch was geklappt hat ist, dass die arabischen Juden, nicht nur in Nazareth sich oft benachteiligt fühlen, da sie zum Beispiel einen anderen Pass haben.   Ein klares Zeichen der Ausgrenzung finden einige.





                                                         Ein Besuch in Nazareth


 Die Araber in Palästina (palästinensischen Autonomiegebiete), sind zwar keine Israelis, haben aber einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft. Ramallah, die Hauptstadt der palästinensischen Autonomiebehörde habe ich bereits besucht. Der Weg dorthin führt über  ein paar unangenehmen Stellen, wie zum Beispiel die Mauer, die Israel und Palästina an dem Großteil der Grenze trennt. Da Ramallah allein der palästinensischen Autonomiebehörde untergestellt ist gibt es darüber hinaus auch Warnschilder, dass der Zutritt für Juden zu gefährlich sei und daher verboten ist. An solchen Stellen werden die Spuren des Nahostkonflikts sehr deutlich. Ramallah ist allerdings sehr offen für Touristen. Die Menschen sind sehr freundlich hilfsbereit. Seit kurzem wird sehr stark um Touristen


Graffiti in Bethlehem als Protest gegen die Kontrollen

geworben. Zahlreiche Hostels haben eröffnet, zahlreiche Touren und Freizeitangebote, wie ein türkisches Bad, werden angeboten. Die Abneigung gegen Israel vieler Palästinenser ist aber nicht zu leugnen. Eine der schwierigsten Aufgaben war es nicht hebräisch zu sprechen, denn das erachten viele als respektlos. In Anbetracht der jüdischen Siedlungen, der Polizei- und Armeepräsens und der Mauer als Trennlinie, kann man die Ansicht einiger Palästinenser durchaus nachempfinden. Im Gegenzug dazu kann man auch die Sicherheitssorgen vieler Israelis verstehen, die durch Anschläge in der Vergangenheit verursacht wurden. Ich hab manchmal das Gefühl man kann nicht genau sagen, wer angefangen hat mit den Provokationen und wer Recht hat und wer nicht steht für mich daher außer Frage. Generell kann man sagen, dass viel Propaganda beider Seiten gemacht wird.

Was mich also am meisten beeindruckt hat in diesem kleinen Land, ist die Gesellschaft, die gegensätzlicher nicht sein könnte. Dies liegt natürlich auch an der Einwanderung. So gut wie Jeder hier hat, durch die Diaspora, Migrationshintergründe. Es gibt viele iranische, russische, amerikanische, äthiopische und argentinische Juden. Im Kfar (meiner Arbeitsstelle) haben wir auch Member aus Südafrika, Kanada und Australien. Ich finde man kann daher schwer von einer Leitkultur in Israel sprechen, weil die Kulturen mitgebracht wurden und sich auch vermischt haben. Es ist immer alles regional abhängig. Da das auf so kleinem Raum passiert, macht es Israel mit den verschiedenen Kulturen so einzigartig. Und trotz des Konflikts und einiger Einschränkungen zum Schutz der Sicherheit sind die Leute so freundlich (was ich aufgrund der Vergangenheit und einiger bewegender Holocaustgeschichten, die ich hier gehört habe, nicht für selbstverständlich gehalten halte) und leben vielleicht genau deswegen in den Moment. Auch wenn sich die einzelnen Teile der Gesellschaft oft nicht wirklich gut verstehen so wurde ich doch immer freundlich behandelt bzw. aufgenommen. Ob jüdisch oder arabisch, jung oder alt. Ich merke, dass die Leute meine Arbeit hier sehr schätzen, wirklich dankbar und wissen, dass es nicht selbstverständlich ist. Das ist neben der politischen Lage, Klima und Religion einer der größten Unterschiede zu Deutschland.


Ich hoffe ich konnte meinen Blick auf die Kultur und Gesellschaft Israels halbwegs verständlich vermitteln. Jetzt geht’s erst mal zum Zwischenseminar, denn genau morgen bin ich 6 Monate in Israel und ich hoffe die nächsten 6 werden genauso gut wie die ersten.
Also bis zum nächsten Mal und lehitraot,
Euer Roman





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